Das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse wurde vor allem durch das Zitat
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“
bekannt. Ursprünglich hatte das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse den Titel „Transzendieren!“. In diesem Gedicht geht es darum, dass wir nicht festhalten, nicht stehenbleiben. Hermann Hesse definiert das Leben als fortwährenden Prozess der Entwicklung. Er schöpft insbesondere bei dem berühmten Vers „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ aus Meister Eckharts Dichtung. Ich sehe in dem Gedicht die Liebe zur Veränderung, die uns letztendlich gesunden lässt, auf allen Ebenen.
Das Gedicht ist im Roman „Das Glasperlenspiel“ von Hermann Hesse enthalten. Es begleitet den Wandel von Josef Knecht. „Stufen“ erinnert stark an eine Passage aus Friedrich Nietzsches Werk Menschliches, Allzumenschliches:
„Wer nur einigermaßen zur Freiheit der Vernunft gekommen ist, kann sich auf Erden nicht anders fühlen denn als Wanderer, – wenn auch nicht als Reisender nach einem letzten Ziele: denn dieses gibt es nicht. Wohl aber will er zusehen und die Augen dafür offen haben, was alles in der Welt eigentlich vorgeht; deshalb darf er sein Herz nicht allzufest an alles einzelne anhängen; es muß in ihm selber etwas Wanderndes sein, das seine Freude an dem Wechsel und der Vergänglichkeit habe.“
Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches – Neuntes Hauptstück. Der Mensch mit sich allein. Nr. 638: Der Wanderer.
Und hier nun das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
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Hermann Hesse, geboren am 2.7.1877 in Calw/Württemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines württembergischen Indologen, starb am 9.8.1962 in Montagnola bei Lugano.
Er wurde 1946 mit dem Nobelpreis für Literatur, 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nach einer Buchhändlerlehre war er seit 1904 freier Schriftsteller, zunächst in Gaienhofen am Bodensee, später im Tessin.
Er ist einer der bekanntesten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts. Sein Buch hat mich im Alter von 14 oder 15 Jahren in mystische Welten entführt. Danach las ich den Steppenwolf, und tief in mir blieb das Bild eines Raumes mit vielen Türen in Erinnerung. Wir wählen, durch welche wir hindurchgehen möchten, um den nächsten Schritt im Leben zu gehen. Leben ist Veränderung.